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Geschäftsmodelle essen Seele auf

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Tim Renner, der sich um Berlins Kultur kümmern soll, plädiert für die Digitalisierungtritt als Propagator des Digitalen auf. Aber worum geht es da eigentlich – um Kultur oder um Vertriebswege?

(Aus dem Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, von Andrian Kreye) Übers Wochenende gab es Ärger um den designierten Kulturstaatssekretär von Berlin, Tim Renner. Dieser ist einer der erfolgreichsten Musik- und Medienmanager des Landes. Als solcher trat er vergangene Woche in Dortmund als Redner für die Firma Readbox auf, die Verlagen dabei hilft, ihre Bücher zu digitalisieren. Dabei warnte er die Buchbranche davor, die gleichen Fehler zu machen wie die Musikindustrie, die die digitale Revolution viel Umsatz gekostet hat. Es sei sentimental, auf alten Methoden zu beharren, sagte Renner. Und er zitierte eine verschärfte Version der beliebten Pferdekutschenmetapher: „Dass es das Buch 500 Jahre lang gibt, ist kein gutes Argument. Ochsenkarren waren Tausende Jahre alt, bevor das Auto kam.“

Nun kämpfte Tim Renner lange erfolgreich dafür, dass die Gräben zwischen Bildungsbürgern und Popkultur in diesem Land geschlossen werden. Und er hat gemeinsam mit seinem Bruder Kai-Hinrich vor drei Jahren ein Buch veröffentlicht, das erklärt, warum die digitale Kultur die Fortsetzung der Popkultur ist, und das sehr viel intelligenter ist als sein Popzitattitel „Digital ist besser“. Man muss Renner also nicht gleich die Kulturkompetenz absprechen, so wie es einige Kritiker nicht nur analog, sondern auch auf digitalen Kanälen postwendend getan haben, nur weil er in Dortmund Umsatzkrisen verglich.

Doch der Streit um Renners Auftritt ist durchaus exemplarisch. „Bücher sind keine Ochsenkarren“, schrieb beispielsweise die FAZ. Denn das wirklich Deprimierende an den ganzen digitalen Kulturdebatten ist ja, dass es in den letzten 15 Jahren selten um Kultur ging, sondern um: Logistik, Bürokratie, Rechtsfragen, Vertriebs- , Präsentations- und Geschäftsmodelle, diesen ganzen öden Betriebswirtschaftskanon eben.

Am 28. April soll Tim Renner sein Amt antreten. Man weiß noch nicht, ob der Regierende Bürgermeister und Kultursenator Klaus Wowereit mit der Berufung einen modern anmutenden PR-Coup plant, weil man schlecht mit der Bundespolitik liebäugeln kann, wenn man Patron der größten Bauruine der Republik ist. Oder ob er das Start-up- und Digital-Flair seiner Stadt stärken will. Das aber spielt keine große Rolle, wenn der Mann, der sich in Berlin in Zukunft um die Kultur kümmern soll, mit einer solch betriebswirtschaftlichen Breitseite gegen die Kultur profiliert.
Renners eigenes Werk ist jedoch ein guter Ausgangspunkt. Weil er mit seiner Theorie von der digitalen Kultur als Fortsetzung des Pop erst einmal recht hat. Nur dass die digitale Revolution gerade in den vergangenen drei Jahren einen ganz anderen Verlauf genommen hat als die Geschichte der Popkultur.

Diese beruht im Wesentlichen seit sechzig Jahren auf der Begleitmusik für die großen gesellschaftlichen Befreiungsbewegungen – der Jugend, der Minderheiten, der Unterdrückten. Es gibt da von den Rolling Stones über The Clash bis zu Rage Against The Machine auch immer wieder sozialistische Untertöne. Die hat die digitale Kultur in den Anfangsjahren auch aufgenommen.

Todd Rundgren, der in Vergessenheit geratene Rockstar, der zunächst die Brücke zwischen Psychedelik zu Pop schlug und dann als Pionier der digitalen Kultur in San Francisco lebte, schwärmte schon früh davon, dass die digitalen Technologien die Produktionsmittel der Kultur im klassisch marxistischen Sinne aus dem Klammergriff der Konzerne und Stars befreien würden. Und so kam es dann auch. Werke, für die man früher Ton- und Filmstudios benötigte, lassen sich heute mit einem Laptop als Schnittstelle für einen Bruchteil der Kosten produzieren.

Die digitale Kultur nahm aber auch das Leitmotiv des Generationenkonflikts auf. Da aber unterschied sich die Stoßrichtung bald gewaltig vom Pop des 20. Jahrhunderts. Und so wurde aus dem marxistischen Anspruch eine kapitalistische Realität. Der Wendepunkt kam während der Neunzigerjahre, als sich die digitale Kultur aus der Produktion von Software in die Unendlichkeiten des Internets verlagerte. Erst da waren die physischen Grenzen einer Wirtschaftsgeschichte überwunden, die auf der Herstellung von Produkten basierte. Und erst da konnte der Generationenkonflikt die radikale Form annehmen, welche die digitale Kultur heute bestimmt.

Schlüsselfigur dieses Generationenkonflikts ist der Unternehmer Sean Parker, eine Art Mick Jagger der digitalen Kultur. Der gründete 1999 mit 19 Jahren gemeinsam mit dem ein Jahr jüngeren Shawn Fanning die Firma Napster. Im Prinzip stellte die Firma nur ein Programm zur Verfügung, über das man im Internet mit einer unbegrenzten Anzahl von Nutzern Dateien austauschen konnte. Das Prinzip des Datentausches war so einfach wie die zwölf Takte des Blues, und die Auswirkungen waren ähnlich weltbewegend wie der Aufstieg des Rock. Nur eben unter anderen Bedingungen.
Die digitale Revolution war kein Aufbegehren gegen den kulturellen Kanon aus den Subkulturen heraus. Die (zunächst gar nicht geplante) Strategie stammte eher aus dem Regelbuch einer ideologischen Schlüsselfigur der amerikanischen Konservativen, des Steuer-Aktivisten Grover Norquist. Von dem stammt die sehr wirkungsvolle Methode, den von Konservativen so ungeliebten Sozial- und Subventionsprogrammen der Regierung einfach den Geldhahn zuzudrehen. Das erreicht man am einfachsten, indem man die Steuereinkünfte so radikal senkt, dass de facto kein Geld mehr da ist.

Ähnlich funktionierte die digitale Revolution. Die entzog den Bastionen der kulturellen Macht einfach die finanzielle Basis, indem sie ihre Geschäftsmodelle kippte. Den Partisanen der anarchischen Vertriebsmodelle folgten bald schon die heutigen Sieger der digitalen Revolution. Es war ja eben nicht die Rache der Streber, wie in Anspielung auf den Film „Revenge of the Nerds“ gerne behauptet wird. Damit hätte sich sonst die Utopie des Visionärs und Architekten Buckminster Fuller bewahrheitet, der forderte, man solle alle Macht den Designern und Ingenieuren geben. Nein, es war der Sieg der Betriebswirtschaft und Bürokratie. Das zeigt sich bei den Siegern. Bei Microsoft-Gründer Bill Gates, der es schaffte, ein zweitklassiges Logistikprodukt zum Weltstandard zu machen. Bei Sergei Brin und Larry Page von Google, deren Geschäftsmodell darauf beruht, die Welt und das Leben in Datenpaketen zu organisieren. Bei Amazon-Gründer Jeff Bezos, der mit dem Jagdinstinkt des erfahrenen Hedgefonds-Managers in der Schwäche der Buchbranche seine Chance sah, den Einzelhandel zu revolutionieren. Bei Steve Jobs, der sich meisterlich darauf verstand, die Ideen und Patente anderer zeitgemäß zu verpacken.

Die Rolle der Kultur war dabei schon früh definiert. Es ist nun nicht so, dass die digitale Kultur keine relevanten Veränderungen gebracht hätte. Diese aber liegen noch in der Software-Ära der digitalen Revolution. Computerspiele beispielsweise haben es geschafft, das fast zweieinhalbtausend Jahre alte Dogma der aristotelischen Erzählform mit ihren drei Akten zu sprengen. Das wird noch gerne belächelt, ist aber eine kulturelle Großtat, deren Auswirkungen man noch gar nicht absehen kann.

Der Siegeszug des betriebswirtschaftlichen, bürokratischen Geistes aber hat den kulturellen Diskursen die Seele geraubt. Wem Fragen um Vertriebs- und Bezahlsysteme den Schlaf rauben, der kümmert sich nicht um das, worum es in der Kultur eigentlich geht – um Leidenschaft, Haltung, Ideen und Ästhetik, um Träume, Wut, Verzweiflung und Glück, um all das eben, woraus man Songs, Symphonien, Gemälde und Filme machen kann. Wahrscheinlich wäre Berlin ein guter Ort für den Beginn der Konterrevolution.


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